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Unvollendete Anlagen > Wyhl (Baden-Württemberg)

Druckwasserreaktor • Leistung: 1.375 MW • Hersteller: KWU •
Ankündigung: 1973 • Baubeginn und Baustopp: 1975


Geplantes AKW am Kaiserstuhl

Wyhl 02.650

Die Gemeinde Wyhl

Im Juli 1973 wurde offiziell angekündigt, dass im baden-württembergischen Wyhl am Kaiserstuhl ein Atomkraftwerk errichtet werden sollte. Das geplante AKW scheiterte am Widerstand der einheimischen Bevölkerung, obwohl mit dem Bau begonnen worden war. Die Proteste werden oft als Ursprung der deutschen Anti-Atomkraftbewegung angesehen.[1]

Unter dem Namen "Kernkraftwerk Süd" (KWS) war laut IAEO ein Druckwasserreaktor mit einer Bruttoleistung von 1.375 MW geplant.[2] Hersteller sollte die KWU werden.[3]

Noch bevor der neue Standort Wyhl offiziell angekündigt wurde, gab es bereits im Fasching 1972 Anspielungen darauf, und im Sommer 1973 begannen die ersten Proteste von Gegnern. Zugleich organisierten sich die Befürworter, die wirtschaftliche Vorteile als Argumente für den Bau des AKW herausstellten. 1974 kündigte die Landesregierung die Einleitung des Genehmigungsverfahrens an. Die Bauern und Winzer zogen vor den Landtag und diskutierten mit Abgeordneten. Sie versuchten, den Verkauf des Geländes an das Badenwerk zu verhindern, woraufhin der Landtag mit Enteignung drohte. Diese Maßnahmen blieben aber ohne Erfolg. 1974 wurde das "Internationale Komitee der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen" gegründet.[1] Im gleichen Jahr protestierten dieselben deutschen und elsässischen Organisatoren, die gegen Wyhl Widerstand leisteten, auch gegen ein deutsches Bleiwerk in Frankreich.[4]

Besetzung des Bauplatzes und Widerstände bis in die 1980er Jahre

WYHL 1975 KKW-NEIN

Die Regierung Filbinger beschloss jedoch ungeachtet der Proteste am 5. November 1974, mit dem Bau zu beginnen, weil ohne das AKW die Energieversorgung gefährdet wäre. Tatsächlich wurden am 17. Februar 1975 die ersten Bäume durch die "Kernkraftwerk Süd GmbH", einer Badenwerk-Tochter, gefällt, woraufhin die AKW-Gegner das Bauareal besetzten. Filbinger versuchte die Aktivisten als ortsfremde Extremisten und "kommunistische Saat" zu diffamieren und ließ die Polizei aufmarschieren, die die erste Besetzung auflöste, sich aber später angesichts von 25.000 Demonstranten zurückhielt. Als die Proteste anhielten, wurde der Baubeginn bis zu einer Gerichtsentscheidung über Klagen gegen das AKW vertagt.[5]

Der Bauplatz wurde neun Monate besetzt. Die Demonstranten wurden aus dem ganzen Bundesgebiet unterstützt und waren schließlich erfolgreich: 1975 verfügte das Freiburger Verwaltungsgericht einen Baustopp, und Anfang 1976 verpflichtete sich die Landesregierung, "sämtliche Verfahren gegen die Atom-Gegner einzustellen, den Weiterbau vorläufig zu stoppen und weitere Gutachten einzuholen." Im März 1977 wurde die Errichtungsgenehmigung durch das Freiburger Verwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt.[1] Dabei hatten sich die Befürworter alle Mühe gegeben, Gutachten von der bundesdeutschen Atomwissenschaft einzuholen, die nicht unabhängig waren und die Atomkraft befürworteten.[6] Das Gericht hatte die mangelnde Sicherheit kritisiert: "Ein Berstschutz um den Reaktordruckbehälter sei unabdingbar, ein Betonmantel also, der beim Bruch der Reaktorhülle verhindere, daß Strahlen nach draußen gelangen und eine "nationale Katastrophe" auslösen. (...) "Vergessen Sie nicht, die Richter sind technische Laien", wertete vor Ort der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Karl Filbinger das Urteil ab, als ob er mehr davon verstünde." Der Eingriff von Gerichten in die Atomdebatte, aber auch der Einfluss von Bürgerinitiativen als "vierte Gewalt" schlugen hohe Wellen in ganz Deutschland.[7]

Als Reaktion auf die Proteste von Wyhl, aber auch im Auftrag der Atomindustrie entstanden zum ersten Mal Konzepte für eine atomfreundliche Beeinflussung der Öffentlichkeit und für als Bürgerinitiativen getarnte Lobbyorganisationen. → Atomlobby: Öffentlichkeitsarbeit seit den 50er Jahren

1983 flammte der Streit erneut auf, als das Verwaltungsgericht den Bau freigab und Ministerpräsident Lothar Späth im Mai 1983 für 25. März 1984 einen Baubeginn unmittelbar nach den Landtagswahlen ankündigte. Demonstranten und Polizei formierten sich, und es wurde mit neuen Konflikten gerechnet.[8] Am 30. August 1983 jedoch gab Späth nach: "Der Zeitdruck für Wyhl ist weg."[9]

Der Rechtsstreit aber ging weiter. Ende 1985 wies das Bundesverwaltungsgericht wiederum alle Klagen gegen den Bau zurück.[10] Schließlich gab jedoch das Energieunternehmen aufgrund hoher Sicherheitsauflagen das Projekt auf.[11]

Langzeitwirkung

Bei den Protesten von Wyhl wurden einige neue Losungen erfunden, die auch in späteren Bewegungen benutzt wurden, wie z. B.: "Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv."[12] Nach der Tschernobyl-Katastrophe 1986 wurde häufig an Wyhl erinnert und der Slogan geprägt: "Tscherno-Wyhl ist überall."[1]

Der "Spiegel" wies 2011 darauf hin, dass der Widerstand gegen Wyhl auch die Gründung der Grünen und nach Fukushima die Wahl Winfried Kretschmanns zum grünen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs begünstigt habe.[13]

2013 wurde eine SWR-Dokumentation mit dem Titel "Wyhl? – Nai hämmer gsait! Der Widerstand gegen das Atomkraftwerk am Kaiserstuhl" gedreht, die die Geschichte des Protestes und der beteiligten Menschen beschreibt.[14]

Weitere Links

→ Badische Zeitung: Akw Wyhl: Vor 40 Jahren gab es grünes Licht für den Bau vom 22. Januar 2015 (mit Auszügen aus der Baugenehmigung)
→ Prof. Bernd-A. Rusinek: Wyhl

Fernsehbeiträge

  • Wyhl? "Nai hämmer gsait!
    "Was vor vierzig Jahren in Wyhl am Kaiserstuhl geschah, war einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zum ersten Mal wehren sich Bürger gegen ein geplantes Großprojekt ihrer Landesregierung."[14]
40_Jahre_AKW-Widerstand_Wyhl?_"Nai_hämmer_gsait!"_SWR-Geschichtsdokumentationen

40 Jahre AKW-Widerstand Wyhl? "Nai hämmer gsait!" SWR-Geschichtsdokumentationen

SWR, Dokumentation vom 10. Oktober 2013 (Video nicht mehr verfügbar)

  • 40 Jahre erfolgreicher Widerstand
    "Kurz nach der Ankündigung, dass in Wyhl am Kaiserstuhl ein Kernkraftwerk gebaut werden solle, begannen 27 Bürger aus Wyhl, gegen das KKW zu protestieren. Es ist der erste erfolgreiche Widerstand gegen eine Landesregierung und der Beginn der grünen Bewegung."[15]
40_Jahre_erfolgreicher_Widerstand

40 Jahre erfolgreicher Widerstand

SWR, Landesschau vom 18. Juli 2013





(Letzte Änderung: 11.02.2024)

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Jens Ivo Engels: freidok.uni-freiburg.de Geschichte und Heimat. Der Widerstand gegen das Kernkraftwerk Wyhl von 2003
  2. IAEO: WYHL-1 (KWS) abgerufen am 4. Juni 2011
  3. IAEO: LES CENTRALES NUCLEAIRES DANS LE MONDE von 1997
  4. DER SPIEGEL 43/1974: Wacht am Rhein vom 20. Oktober 1974
  5. DER SPIEGEL 14/1975: Mer setze uns durch, weil mer recht hen - Bürgerprotest gegen geplantes Kernkraftwerk Wyhl am Oberrhein und Zündschnur brennt vom 30. März 1975
  6. DER SPIEGEL 8/1977: Geballte Ladung vom 13. Februar 1977
  7. DER SPIEGEL 13/1977: Bürgerproteste - die vierte Gewalt - Der Sieg der Umweltschützer in Wyhl irritiert Parteipolitiker und Energiewirtschaftler vom 20. März 1977
  8. DER SPIEGEL 18/1983: Grüne Hölle vom 1. Mai 1983
  9. BUND: AKW - KKW - Wyhl Chronik: Der Widerstand im Wyhler Wald, in Kaiseraugst, Marckolsheim und Gerstheim vom 13. Februar 2018
  10. DER SPIEGEL 1/1986: Lichter aus vom 29. Dezember 1985
  11. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 302.
  12. Stuttgarter Zeitung: Wyhl – ein Kernkraftwerk wird nicht gebaut - Vom Zorn der braven Kaiserstühler vom 31. Juli 2012
  13. DER SPIEGEL 14/2011: Das war´s vom 3. April 2011
  14. 14,0 14,1 swr.de 40 Jahre AKW-Widerstand - Wyhl? "Nai hämmer gsait!" vom 18. Februar 2015 (via WayBack)
  15. swr.de 40 Jahre erfolgreicher Widerstand abgerufen am 1. Oktober 2013 (via WayBack)
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