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Reaktoren außer Betrieb > Hamm-Uentrop (Nordrhein-Westfalen)
Weitere Atomunfälle und Störfälle > Hamm-Uentrop (Nordrhein-Westfalen)

Thorium-Hochtemperatur-Reaktor • Leistung: 308 MW • Typ: HTGR • Hersteller: BBC/HRB/NUKEM
Baubeginn: 3. Mai 1971 • Inbetriebnahme: 13. September 1983 • Abschaltung: 29. September 1988 •[1][2]
Beginn Rückbau: 2030 • Ende Rückbau: 2045


12 Jahre Bauzeit, 1 Jahr Betrieb, 3 Mrd. Euro Kosten

Kraftwerk Westfalen Kühlturm

AKW Hamm-Uentrop 2007

Im Thorium-Hochtemperatur-Reaktor (THTR-300) in Uentrop, einem Stadtteil im Osten der nordrhein-westfälischen Stadt Hamm,[3] wurde eine neue Methode der Atomspaltung mithilfe von Thorium erprobt, die technisch und wirtschaftlich ein einziger Fehlschlag war.

Hersteller der Anlage waren BBC/HRB/NUKEM.[2] Mit dem Bau war 1971 begonnen worden. Als Bauzeit waren fünf Jahre geplant, der Reaktor konnte jedoch erst nach 12 Jahren fertiggestellt werden.[4]

Der THTR mit 308 MW Leistung wurde am 13. September 1983 hochgefahren. Der Leistungsbetrieb begann aber erst 1987, und am 29. September 1988 ging der Reaktor schon wieder außer Betrieb. Eigentümer und Betreiber ist die Hochtemperatur-Kernkraftwerk GmbH (HKG).[1]

Der Staat subventionierte den THTR mit 90 % der Baukosten, während die private Wirtschaft nur einen geringen Zuschuss leisten musste.[5] Die Gesamtkosten waren lange Zeit unklar. Nach Angaben der Bundesregierung vom November 2013 wurden für Bau, Betrieb und Stilllegung 2,43 Mrd. Euro ausgegeben, die Kosten für Rückbau, Zwischen- und Endlagerung werden auf weitere 675 Mio. Euro geschätzt.[6]

Thorium und Uran

Graphitkugel fuer Hochtemperaturreaktor

Brennelement für Hochtemperaturreaktor

Der THTR wurde mit dem Ziel gebaut, durch 750 bis 900 Grad Celsius hohe Betriebstemperaturen nicht nur Dampf für Turbinen, sondern auch Prozesswärme zu erzeugen. So sollte ein höherer Wirkungsgrad bei der Energieumwandlung erzielt werden. Außerdem sollten aufgrund der technischen Eigenschaften Kernschmelzen oder Freisetzungen von Radioaktivität ausgeschlossen werden.[7]

Wegen seines außergewöhnlichen Brennstoffs wurde der THTR auch als Kugelhaufenreaktor bezeichnet. Er wurde mit 360.000 Graphitkugeln mit je 6 cm Durchmesser betrieben, die als Spaltstoff Uran-235 und als Brutstoff Thorium-232 enthielten. Thorium-232 kann zwar nicht direkt gespaltet, aber durch Neutronenabsorption zunächst in Thorium-233, danach in Proactinium-233 und schließlich in Uran-233 umgewandelt werden, welches spaltbar ist. Als Moderator diente Graphit, als Kühlmittel gasförmiges Helium, welches die Wärme nach außen an Dampferzeuger abgaben.[8][7]

Geringe Leistung und zerbrochene Kugeln

Die Herstellung der Kugeln war jedoch kostspielig, die Wiederaufarbeitung aufwändig, und die Leistung des Reaktors geringer als die anderer Reaktoren.[9]

Bei einer Leistung von 100 MW und Temperaturen von 1.600 Grad wäre der Reaktor sicherer gewesen als Leichtwasserreaktoren, da die Graphitkugeln intakt und dicht geblieben und Spaltprodukte zurückgehalten worden wären. Eine Kernschmelze hätte nicht stattfinden können. Da der THTR aber mit 300 MW betrieben wurde, benötigte er zusätzliche Kühlsysteme. Wären diese ausgefallen, wären die Temperaturen im Zentrum auf über 2.500 Grad gestiegen und radioaktive Substanzen freigesetzt worden. Dazu ist es glücklicherweise nicht gekommen. Es zerbrachen jedoch wesentlich mehr Brennstoffkugeln als erwartet, und aufgrund konstruktiver Mängel gab es häufig Störungen. Thoriumreaktoren erzeugen zwar wesentlich weniger Plutonium und weniger Alpha-Strahlung, dafür besitzt das darin erzeugte Uran-233 jedoch eine wesentlich härtere Gammastrahlung als Plutonium. Außerdem wird für den Betrieb hochangereichertes Uran verwendet, wie das sonst nur bei Atombomben der Fall ist.[10]

Eine Zusammenfassung der grundsätzlichen Sicherheitsprobleme beim THTR hat 1986 der Diplomphysiker Lothar Hahn verfasst,[11] der bis 2010 Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) war[12] und die THTR-Technologie als gescheitert ansieht.

Abschaltung nach Störfall und Beschädigungen

Wenige Tage nach der Tschernobyl-Katastrophe kam es im THTR zu einem Störfall: Zerbrochene Kugelbrennelemente verstopften am 4./5. Mai 1986 eine Beschickungsanlage, woraufhin radioaktive Aerosole freigesetzt wurden und kontaminierter Staub und kontaminiertes Helium in unbekannter Menge in die Umgebung gelangten.[13] In der Nähe des Reaktors wurden je Quadratmeter Boden 50.000 Becquerel Strahlung gemessen, die durch radioaktiven Graphitstaub verursacht wurden. Der Betreiber verschwieg den Vorfall zunächst und bezeichnete später die Belastung der Umwelt als nicht "nennenswert groß".[14]

Nachdem bei einer Revision Beschädigungen bei Isolierblechen der Heißgaskanäle festgestellt wurden[15] und es zwischen dem Bund, der Landesregierung NRW, dem Betreiber und der Elektrizitätswirtschaft zu Differenzen wegen der Rücklagen für die Stilllegung kam, ging der Reaktor 1988 vom Netz.[16]

Sicherer Einschluss

Für den THTR-300 hat man die Rückbauvariante "sicherer Einschluss" gewählt, in diesem Fall mit einer 50jährigen Abklingzeit. Der Abriss soll 2030 beginnen und 2045 abgeschlossen sein.[9]

1991 wurde der 184 Meter hohe Kühlturm gesprengt. Seitdem wird der stillgelegte Reaktor überwacht, geprüft und instandgehalten. Das AKW selbst ist nun eine Art von Zwischenlager, dessen verstrahlte Gebäudeteile "von einem zylinderförmigen Behälter mit Unterdruck" und Spannbeton ummantelt sind.[17]

675.000 Brennelementkugeln wurden aus dem Kern entfernt, in spezielle Castor-Behälter gefüllt und in Ahaus gelagert.[15]

Die Herkunft von Kleinstkügelchen, die im Umfeld des Reaktors durch eine Schülerin gefundenen worden waren, ist bislang nicht geklärt. Es könnte sich um Reste von Düngemaßnahmen handeln. Darüber hinaus wurden geringe Mengen Cäsium im Boden gemessen.[18]

Verharmlosung von Krebsfällen?

Heute werden erhöhte Raten von Schilddrüsenkrebs bei Frauen in der Umgebung des Reaktors festgestellt. Die Behörden, darunter auch der grüne Umweltminister Johannes Remmel, bestreiten jedoch, dass der Reaktor Ursache dafür sei. Das Deutsche Krebsregister führt die erhöhten Raten auf vermehrte Vorsorgeuntersuchungen zurück und behauptet, der Datenschutz verhindere weitere Aussagen. Die Anwohner verlangen Aufklärung. Es wird ein Zusammenhang mit dem oben genannten Störfall von 1986 vermutet, bei dem radioaktive Stoffe freigesetzt wurden.[13]

Das NRW-Umweltministerium schloss sich in einem Bericht vom November 2013 der Auswertung des Deutschen Krebsregisters an. Es bestätigt die Häufung von Schilddrüsenkrebsfällen bei Frauen, sieht aber ebenfalls keinen Zusammenhang mit dem Reaktor, da keine Häufung von Krebsfällen bei Männern und jüngeren Altersgruppen feststellbar sei.[19]

Fernsehbeiträge

  • Kugelhaufenreaktor
    Mit Originalaufnahmen aus den 60er Jahren.
Kugelhaufenreaktor

Kugelhaufenreaktor

WDR, Aktuelle Stunde vom 11. April 2011

  • Wer zahlt den Abriss?
    "Jedes Jahr kostet der Reaktor 5,1 Millionen Euro Steuergelder. (...) Hinzu kommt der Abriss, der mit mindestens 400 Millionen Euro veranschlagt wird. Voraussetzung für den Abriss wäre aber ein geeignetes Endlager, das aber gibt es noch nicht. Völlig unkalkulierbare Kosten, wer sie tragen soll, ist unklar." Quelle: Video
Hamm-Uentrop_THTR_Wer_zahlt_den_Abriß_?

Hamm-Uentrop THTR Wer zahlt den Abriß ?

WDR, hochgeladen auf YouTube am 18. April 2008

Weitere Links

THTR-300 (Homepage)
→ rtl.de: Atomausstieg: Was passiert mit den "Geisterkraftwerken"? vom 26. September 2013 (Video)
→ AtomkraftwerkePlag: Hochtemperaturreaktor Jülich (AVR)
→ AtomkraftwerkePlag: Generation IV/Internationale Entwicklung (über Nachfolgereaktoren des THTR)

(Letzte Änderung: 27.09.2020)

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 IAEO: PRIS - Country Statistics/Germany abgerufen am 26. September 2020
  2. 2,0 2,1 BfS: Kernkraftwerke in Deutschland abgerufen am 12. August 2014 (via WayBack)
  3. WNA Reactor Database: Thtr 300, Germany abgerufen am 26.September 2020
  4. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 322.
  5. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013, S. 131
  6. Focus Online: Bau, Betrieb und Stilllegung für 2,43 Milliarden Euro vom 15. November 2013
  7. 7,0 7,1 spektrum.de: Hochtemperaturreaktor abgerufen am 26. September 2020
  8. kernenergie.de: Kernenergie Basiswissen (S. 53f.) vom November 2013
  9. 9,0 9,1 sueddeutsche.de: Hamm-Uentrop: Ende eines Reaktors - 50 Jahre Abklingzeit vom 18. April 2011
  10. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 168, 342, 368f.
  11. books.google.de: Whistleblowing im nuklear-industriellen Komplex von 2012
  12. derwesten.de: So wird Atommüll weniger gefährlich vom 26. April 2013
  13. 13,0 13,1 n-tv.de: Behörden in NRW relativieren - Mehr Krebs am Atomreaktor Hamm-Uentrop vom 28. November 2013
  14. DER SPIEGEL 23/1986: Kernenergie: Ausstieg „so rasch wie möglich“ vom 2. Juni 1986
  15. 15,0 15,1 ptka.kit.edu: Stilllegung und Rückbau kerntechnischer Anlagen - Erfahrungen und Perspektiven vom November 2009
  16. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 342.
  17. Deutschlandfunk: Teure Atomruine vom 11. März 2013
  18. Soester Anzeiger: THTR-Umfeld: Cäsium im Boden nachgewiesen vom 19. Juli 2013
  19. nrw.de: Umweltministerium legt Bericht zum möglichen Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und dem ehemaligen Reaktor THTR Hamm vor vom 28. November 2013 (via WayBack)
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