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Reaktoren außer Betrieb > Grafenrheinfeld (Bayern)

Druckwasserreaktor • Leistung: 1.345 MW • Typ: PWR • Hersteller: KWU •
Baubeginn: 1. Januar 1975 • Inbetriebnahme: 9. Dezember 1981 • Abschaltung: 27. Juni 2015 •[1][2]
Beginn Rückbau: 2018 • Ende Rückbau: 2030[3]


Über 30 Jahre Betrieb und über 230 Zwischenfälle

Kernkraftwerk Grafenrheinfeld 4

AKW Grafenrheinfeld

Das am 27. Juni 2015 stillgelegte[1] Atomkraftwerk Grafenrheinfeld befindet sich zwei Kilometer südlich der gleichnamigen bayerischen Gemeinde im unterfränkischen Landkreis Schweinfurt am linken Mainufer.[4][5]

Als Standort für ein Atomkraftwerk in Unterfranken hatte sich zunächst die Gemeinde Gerolzhofen beworben, deren Gesuch aber abgelehnt wurde, weil es keinen Fluss für Kühlwasser gab. 1972 begannen die Planungen für den Standort Grafenrheinfeld. Im Sommer 1973 stellte die Bayernwerk AG einen Antrag auf Bau und Betrieb des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld, dem im Sommer 1974 eine Teilgenehmigung durch die Bayerische Staatsregierung folgte. Trotz erbitterten Widerstands von Seiten der Bevölkerung und einer Unterschriftensammlung wurde 1974/75 mit den Bauarbeiten begonnen und das AKW am 9. Dezember 1981 in Betrieb genommen.[6][7][1] Hersteller war die Kraftwerk Union (KWU).[2]

Betreiber des Druckwasserreaktors Grafenrheinfeld (KKG) war zunächst die Bayernwerk AG, die in E.ON aufging; seitdem ist die E.ON Kernkraft GmbH Eigentümer und Betreiber.[8]

1987 veröffentlichte die Autorin Gudrun Pausewang ein Jugendbuch mit dem Titel "Die Wolke", in dem am Beispiel eines fiktiven Atomunfalls am Reaktor Grafenrheinfeld geschildert wird, wie sich ein, der Tschernobyl-Katastrophe gleichender GAU in Deutschland auswirken würde. Das Buch war über Jahre Pflichtlektüre im Schulunterricht und wurde 2006 verfilmt.[9]

→ Spiegel Online: "Die Wolke"-Autorin Pausewang: Solange ich lebe, werde ich warnen vom 17. März 2011 (Gastbeitrag der Autorin)

Luftkampfübungen der US-Armee über dem Reaktor

Mit beispielloser Rücksichtslosigkeit waren im Dezember 2010 Luftkampfübungen durch US-Kampfjets direkt über dem Atomkraftwerk abgehalten worden. Anfragen und Anschreiben verängstigter Bürger, keine derartigen Übungsflüge mehr zuzulassen, wurden von Bundesverteidigungsminister de Maizière mit dem Hinweis abgelehnt: “Eine Bewertung der Reaktor-Sicherheitskommission habe ergeben, dass alle im Betrieb befindlichen deutschen Kernkraftwerke gegen Flugzeugabstürze ausgelegt und hinsichtlich eines Absturzes von Kampfjets in der "höchst möglichen Robustheitsebene" eingestuft seien".[10] Die Reaktorsicherheitskommission (RSK) ist eine der wichtigen Atomlobbyorganisationen in Deutschland.

Störfälle

Im AKW Grafenrheinfeld gab es laut Pannenstatistik des BfE 240 Zwischenfälle (Stand: 23. April 2017).[11]

Nachdem im Juli 2010 eine Anomalie an der Anlage entdeckt worden war, ließen der damalige Bundesumweltminister Röttgen und der Atomlobbyist Gerald Hennenhöfer das AKW einfach bis zur nächsten Revision weiterlaufen. Ob ein Riss in der Nähe des Druckbehälters die Ursache war, blieb unklar.[12] Am 28. Oktober 2010 wurden wegen der Störanfälligkeit in zahlreichen Städten und Gemeinden im Umkreis des AKW Resolutionen beschlossen, in denen eine sofortige Stilllegung des AKW Grafenrheinfeld gefordert wurden, ohne Erfolg.[13]

Kurz nach der Fukushima-Katastrophe wurde der Reaktor abgeschaltet und ging in Revision. Bei einem Thermoschutzrohr im Kühlsystem war ein Riss entdeckt worden, woraufhin die Opposition im bayerischen Landtag der Regierung und E.ON monatelange Vertuschung vorwarf.[14]

Angesichts der Pannenstatistik und sonstiger Vorfälle hätte der Reaktor nicht vorübergehend, sondern besser gleich endgültig vom Netz genommen werden sollen, wie auch der Stadtrat Schweinfurt in einer Resolution forderte.[15] Vorläufig letzte Panne: Im April 2012 wurden am Reaktor, wie im AKW Brokdorf, gebrochene Brennelementefedern festgestellt.[16]

Diskussion über Laufzeitverlängerung

Ende 2013 mehrten sich die Anzeichen, dass Politik und Wirtschaft in Bayern eine Abkehr von der Energiewende erwogen. Wirtschaftsministerin Aigner plante Änderungen in der Energiepolitik, da sie bezweifelte, dass die "Grundannahmen im mehr als zwei Jahre alten Programm für den Atomausstieg noch realistisch" wären. Laut Aigner sei nicht gesichert, dass die Thüringer Strombrücke, über die Windstrom nach Süden transportiert werden soll, rechtzeitig fertiggestellt wird. Es sei daher fraglich, ob genug Energie zur Verfügung stehen werde, um die bayerischen Atomkraftwerke, wie z. B. Grafenrheinfeld, abschalten zu können.[17]

Am 5. Dezember forderte Alfred Gaffal, Präsident der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw), eine Laufzeitverlängerung des AKW Grafenrheinfeld zu prüfen, da sonst eine Explosion der Stromkosten und eine Stromknappheit drohten. Ministerpräsident Seehofer widersprach dem und bestätigte, dass das AKW wie geplant 2015 vom Netz gehen werde oder früher, da sich der Betrieb nicht mehr lohne.[18]

Die Bad Kissinger Kreisräte, die wegen Blackout-Warnungen der Energieunternehmen beunruhigt waren, forderten am 29. Januar 2014 in einer Resolution die Bundesregierung, den Bundestag, die Bayerische Staatsregierung, den Bayerischen Landkreistag und andere Körperschaften auf, die Abschaltung des AKW nicht mehr in Frage zu stellen und wie geplant in die Wege zu leiten.[19]

Vorzeitige Abschaltung im Juni 2015

Bereits im Februar 2014 hatte es Spekulationen über eine vorzeitige Abschaltung des Reaktors gegeben.[20]

Am 28. März 2014 gab E.ON in einer Pressemitteilung bekannt, dass das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld bereits Ende Mai 2015, sieben Monate früher als im Ausstiegsplan vorgesehen, vom Netz genommen werden sollte. Als Grund wurde die mangelnde Rentabilität angegeben. Die Bundesnetzagentur und der Netzbetreiber Tennet wurden von E.ON mit einer Anzeige informiert.[21] E.ON konnte damit auf den Austausch der Brennelemente im Frühjahr 2015 verzichten, für die hohe Kosten und zusätzlich 80 Mio. Euro an Brennelementesteuer angefallen wäre. Die bayerische Staatsregierung hatte keine Einwände gegen die frühere Abschaltung, und nach Aussage des Netzbetreibers Tennet wurden keine Probleme bei der Netzstabilität erwartet.[22]

Anfang Juni 2014 begann im AKW die letzte Revision vor der Abschaltung, bei der nicht, wie üblich, 40 Brennelemente durch neue ersetzt werden, sondern nur noch die gebrauchten neu angeordnet wurden.[23]

Ende April 2015 kündigte E.ON an, dass das AKW nicht Ende Mai, sondern am 20. Juni abgeschaltet werden solle, da der Brennstoff länger zur Verfügung stünde als geplant.[24]

Am 27. Juni 2015 um 23.59 Uhr wurde das Atomkraftwerk endgültig vom Netz genommen. Die Abschaltung erfolgte nach Angaben von E.ON "bestimmungsgemäß". In seiner Presseerklärung warb der Konzern noch einmal für das Atomkraftwerk: dessen Betrieb sei erfolgreich gewesen, die Anlage habe der Umwelt große Mengen CO2 erspart und die "fluktuierende Einspeisung regenerativer Energien" ausgeglichen.[7]

Direkter Rückbau

E.ON erklärte dem Bayerischen Rundfunk im März 2014, dass ein direkter Rückbau des Atomkraftwerks beabsichtigt sei.[25] Die Kosten wurden auf 1 Mrd. Euro geschätzt.[26]

Im April und Juni 2015 legte E.ON einen Zeitplan für den Rückbau vor. Danach sollen die Brennelemente während der Restbetriebsphase fünf Jahre lang ausglühen. Das radioaktive Wasser im Primärkreislauf soll bis 2020 im Leistungssystem bleiben und danach verdunsten; die radioaktiven Reste sollen dann verpackt werden. 2018 soll mit dem Rückbau radioaktiver Anlagenteile begonnen, von 2028 bis 2030 das Reaktorgebäude abgerissen werden. Während der Betreiber und das Bundesministerium für Umweltschutz einen direkten Rückbau bevorzugen, fordert beispielsweise der BUND, auch andere Alternativen zu prüfen, wie z. B den sicheren Einschluss.[3][27]

Am 15. Dezember 2015 wurde gemeldet, alle 597 Brennstäbe seien aus dem Reaktordruckbehälter entfernt und in das Nasslager auf dem Gelände zur Kühlung überführt worden. Ende 2020 soll die Verpackung in Castoren erfolgen, die dann im Standortzwischenlager deponiert werden sollen.[28]

Das Standortzwischenlager besitzt den Namen "Bella", 88 Stellplätze und eine Betriebsgenehmigung bis 2046.[29]

Weitere Links

→ E.ON: Kernkraftwerk Grafenrheinfeld
BA-BI e.V.

Fernsehbeitrag

  • Kampfjets über dem Kernkraftwerk
    "Übungsflüge der US Luftwaffe in der Nähe des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld sorgen für Unruhe bei der Bevölkerung. Bereits im Dezember waren Kampfjets in der Nähe des KKG gesichtet worden. Wie sich herausstellte, handelte es sich um angemeldete Übungsflüge der amerikanischen Luftstreitkräfte. Den Sicherheitsabstand von 1,5 Kilometer und die erforderliche Mindestflughöhe von 600 Metern hielten die Piloten offenbar ein. KKG-Sprecher Bernd Gulich verweist außerdem darauf, dass die deutschen Kernkraftwerke gut gegen den möglichen Absturz eines Militärflugzeugs gesichert sei. Auch das Reaktorgebäude des KKG mit seinen zwei Meter dicken Stahlbetonwänden sei für so einen Fall ausgelegt." Quelle: YouTube
Kampfjets_über_dem_Kernkraftwerk

Kampfjets über dem Kernkraftwerk

Hochgeladen am 8. April 2011 auf YouTube


(Letzte Änderung: 08.09.2018)

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 IAEO: PRIS - Country Statistics/Germany abgerufen am 14. Juli 2015
  2. 2,0 2,1 IAEO: LES CENTRALES NUCLEAIRES DANS LE MONDE von 1997
  3. 3,0 3,1 BR Online: AKW Grafenrheinfeld - Direkter Rückbau oder sicherer Einschluss? vom 5. April 2015 (via WayBack)
  4. E.ON: Kernkraftwerk Grafenrheinfeld abgerufen am 15. September 2014
  5. Wikipedia: Kernkraftwerk Grafenrheinfeld abgerufen am 15. September 2014
  6. Mainpost: Es fehlte der größere Fluss vom 3. Januar 2014
  7. 7,0 7,1 E.ON: Sicher bis zum letzten Tag: Nach 33 Jahren erfolgreichem Betrieb stellt das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld die Stromproduktion ein vom 28. Juni 2015
  8. E.ON Kernkraft: Grafenrheinfeld - Informationen zum Kernkraftwerk abgerufen am 28. September 2012
  9. RP Online: Wird "Die Wolke" Wirklichkeit? vom 17. März 2011
  10. Süddeutsche.de: Atomkraftwerk Grafenrheinfeld - Die Angst bleibt vom 3. November 2011
  11. BfE: Kernkraftwerke in Deutschland: Meldepflichtige Ereignisse seit Inbetriebnahme abgerufen am 23. April 2017
  12. FR-Online: Unregelmäßigkeit im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld - Berlin setzt auf Risiko vom 20. Januar 2011
  13. Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode: Änderungsantrag - Deutscher Bundestag, Drucksache 17/3532 vom 27. Oktober 2010
  14. Süddeutsche.de: AKW Grafenrheinfeld wird abgeschaltet vom 21. März 2011
  15. heise online: Neun AKWs sind derzeit abgeschaltet vom 31. März 2011
  16. stmuv.bayern.de: Meldepflichtiges Ereignis im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld (KKG): "Bruch von Niederhaltefedern an Brennelementen mit Stahl-Führungsrohren" vom 3. Mai 2012 (via WayBack)
  17. Süddeutsche.de: Neustart für Energiewende in Bayern vom 29. November 2013
  18. donaukurier.de: Staatsregierung im Atomdilemma vom 5. Dezember 2013
  19. Mainpost: Grafenrheinfeld: Bad Kissinger Kreisräte pochen auf Ausstieg vom 29. Januar 2014
  20. Mainpost: KKG positioniert sich als Systemdienstleister vom 25. Februar 2014
  21. E.ON: E.ON nimmt Kernkraftwerk Grafenrheinfeld vor Ende der Laufzeit außer Betrieb vom 28. März 2014
  22. Spiegel Online: Energiewende: E.on nimmt AKW Grafenrheinfeld früher vom Netz vom 28. März 2014
  23. Mainpost: Kernkraftwerk Grafenrheinfeld: Die letzte Ruhe vom 2. Juni 2014
  24. BR: Pokert E.ON weiter? vom 28. April 2015 (via WayBack)
  25. BR: E.ON will Kraftwerk nach Abschaltung abreißen vom 19. April 2014 (via WayBack)
  26. mainpost.de: E.ON will KKW Grafenrheinfeld sofort nach Abschaltung zurückbauen vom 17. Oktober 2014
  27. BR: E.on informiert über Abschaltung in Grafenrheinfeld vom 19. Juni 2015 (via WayBack)
  28. BR Online: KKW Grafenrheinfeld - Brennstäbe aus Reaktor-Kern entfernt vom 15. Dezember 2015 (via WayBack)
  29. Deutsche Welle: Grafenrheinfeld geht vom Netz vom 11. März 2015
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